Kölner Kammerorchester

Nachrichten

Datum: 19.05.2015

» Zurück

Das Spiel von Idylle und Erhabenheit

Haydns "Die Schöpfung" in der Kölner Philharmonie

Schiller mochte die "Schöpfung" nicht, bescheinigte ihr anlässlich ihrer ersten Aufführung in Weimar ein "charakterloses Mischmasch". Nun, dieses "Mischmasch" stößt schon lange nicht mehr auf ästhetische Vorbehalte; der heutige Hörer weiß gerade das Neben- und Ineinander von Erhabenheit und Idylle als Ausweis des in allen Sätteln gerechten Haydn'schen Genius zu schätzen. Und wenn die jüngste Aufführung des Oratoriums im Rahmen der "Meisterwerk"-Reihe mit Christoph Poppen am Pult in der Kölner Philharmonie gerade den tierischen Genreszenen mit brüllendem Löwen und kriechendem Gewürm ein hohes Maß an illustrativer Sorgfalt angedeihen ließ, dann stieß das, wie der Schlussbeifall zeigte, keinesfalls auf Missfallen des Auditoriums.

Indes zeigte bereits die langsame Einleitung mit der "Vorstellung des Chaos" den starken Willen zu einer aus dem Verweilen und Ausformulieren gewonnenen Eindringlichkeit. Das aufgestockte Kölner Kammerorchester folgte dieser Intention aufmerksam und geschmeidig und mit beachtlicher Klangkultur in sämtlichen Gruppen. Mit dem von Domkapellmeister Eberhard Metternich einstudierten Vokalensemble Kölner Dom hatte Poppen sich einen ausgewiesen leistungsstarken Chor engagiert, der die in ihn gesetzten Erwartungen nicht enttäuschte. Gerade in den Fugen liefen die Sänger zu großer Form auf, die Geschmeidigkeit der Phrasierung, die Durchhörbarkeit des Kontrapunkts, die leicht genommenen Höhen und die Beschwingtheit des Grundklangs konnten rundum überzeugen. Zuweilen hätten mehr Biss und charakterisierende Artikulation nicht schlecht getan. Hier gewann die Neigung zu einem etwas neutralen und neutralisierenden Schönklang die Oberhand.

Keinen Augenblick lang zogen die Gesangssolisten diesen Einwand auf sich. Verstörte Michael Nagy als Raphael (und Adam) zunächst ("Im Anfange schuf Gott") durch eine einigermaßen entgleitende Intonation, so konnte er dieses Defizit im Gang des Abends abbauen - und der für plastische Naturschilderungen wie geschaffene Bariton seine ganze Strahlkraft entfalten. Vor allem verfügt er über eine sonore Tiefe, da sah man die Reptilien förmlich am Boden kreuchen. Der Tenor Julian Prégardien als Uriel gefiel dank seines herzlichen, stimmschönen, stilangemessenen und artikulatorisch präsenten Vortrags nicht minder, während das Kölner Eigengewächs Anna Lucia Richter als Gabriel (und Eva) durch die glasklare, mädchenhafte Reinheit ihrer Stimme erfreute. Was man bei einer Aufführung der "Schöpfung" nicht so oft erlebt: Ihre patriarchatsfromme Ergebenheitsadresse an den "holden Gatten" formulierte sie in einem manierierten Operngestus - da troff die Ironie aus jedem Ton. Warum auch nicht, so wird die Zeitgebundenheit selbst dieses überzeitlichen Wunderwerks deutlich.

(Markus Schwering, Kölner Stadt-Anzeiger, 19. Mai 2015)