Kölner Kammerorchester

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Datum: 05.08.2015

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Musikfestival in Portugal

Mozart mit Wind und Wäscheklammern

Eine Radtour führte den Dirigenten Christoph Poppen vor drei Jahren auf die portugiesische Festung Marvão. Jetzt gibt es hier ein Musik-Festival.

Die Rockschöße des Maestros flogen. Das Haar der Solo-Violinistin flog mit. Die Notenblätter des Orchesters flatterten wie aufgeschreckte Schmetterlinge über die Bühne, bis eine gute Seele Wäscheklammern an die Musiker verteilte. So stürmisch hatte sich Christoph Poppen den Beginn seines Internationalen Musikfestivals im portugiesischen Marvão nicht vorgestellt. Doch zu den Klängen von José Vianna da Motta, Max Bruch und Felix Mendelssohn blies ein hartnäckiger Wind durch den Hof der römisch-maurischen Festung. Einzig Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva zuckte in der ersten Reihe eineinhalb Stunden lang nicht mit der Wimper.

Während am gleichen Wochenende in Bayreuth Bundeskanzlerin Angela Merkel auf einem anderen Hügel „Tristan und Isolde“ trotzte, zeigte im tiefsten Alentejo der Vertreter einer alten ehemaligen Weltmacht in seiner Burg auf dem Berg eherne Stamina. Das Publikum tat es ihm gleich und wurde belohnt. Denn an diesem fast 900 Meter hochgelegenen magischen Ort – mit Blickkontakt nach Spanien – ist, wie das noch bis zum 2. August dauernde Fest der klassischen Musik zeigt, das Vergnügen sonst in aller Regel zu milderen Juli-Bedingungen zu haben.

Die irrationalste Entscheidung seines Lebens

Was machen nun Mendelssohn, Mozart und Mahler ausgerechnet in Marvão? Die Geschichte begann vor drei Jahren mit einer Radtour. Der deutsche Dirigent und Geiger Poppen streifte mit seiner Frau, der Sopranistin Juliane Banse, und ein paar Freunden durch das portugiesische Hinterland. Marvão war, wie er sagt, Liebe auf den ersten Blick. Sie führte sogar rasch zu einem Hauskauf. Doch was dann kam, nennt er mit jungenhafter Genugtuung „die irrationalste Entscheidung meines Lebens“. Die Landschaft, das Ambiente und die Stille hatten es ihm angetan. Was ihm dennoch fehlte, war die Musik. Der Burghof hatte den Charme, den Platz und die Akustik. So wurde im vorigen Sommer drei Tage lang ein erster Versuch gemacht. Das zehntägige Festival in diesem Jahr ist nun die richtige Generalprobe mit einem Programm auf hohem Niveau.

Poppen beschäftigt nicht nur sich selbst und seine Frau mit einer Fülle von Auftritten in Kastell, Zisterne, Kirchen und bei musikalischen Abstechern in die nahen römischen Ruinen von Ammaia. Das Lissabonner Gulbenkian Orchester macht mit, desgleichen andere namhafte deutsche und österreichische Musiker vom Kölner Kammerorchester bis zum Wiener Hugo Wolf Quartett. Die Eintrittspreise sind zivil, die Hotelpreise – noch – einigermaßen. Und die 3000 Einwohner einer der schönsten mittelalterlichen Städte Portugals können es zusammen mit ihrem cleveren Bürgermeister Vítor Frutuoso allmählich fassen, dass das Schicksal ihnen in Gestalt eines Radfahrers aus dem Norden unversehens einen besonderen Ball zugespielt hat.

Gegen die Widrigkeiten der portugiesischen Bürokratie

Denn wer mit der lusitanischen Bürokratie zu tun hat, weiß, dass da nichts „gesagt, getan“ ist. Aber inzwischen ziehen viele an einem Strang. Und wer anderswo gegenwärtig aus allerlei griechischen Gründen defizitären europäischen Geist unter Deutschen (oder Österreichern) beklagen mag, kann sich mit dem portugiesischen Exempel trösten. Ohne die Spenden der Geburtshelfer, wie der Anja Fichte Stiftung, des Goethe-Instituts und der Botschaften der Bundesrepublik Deutschland und Österreichs, sowie der zunehmend bereitwilligen Kooperation der Kulturinstitutionen und Behörden des Gastlands wäre „Marvão“ nicht möglich geworden.

Was hat dieser steinerne „Wächter an der Grenze“ nicht schon alles gesehen, bevor die friedliche Invasion der Konzertmeister kam. Die Römer mit ihrem Sinn fürs Praktische siedelten unter im Tal und verteidigten, wenn nötig, oben. Es waren Veteranen der Legionen, die im ersten Jahrhundert vor Christus vor allem vom Limes nach Süden kamen und bei den Lusitaniern gerade Straßen und Schachbrettstädte bauten, bis ihr Reich unterging. Im neunten Jahrhundert kam der rebellische maurische Herrscher Ibn Maruân auf der Flucht vor dem mächtigen Emir von Córdoba.

Kastilier kommen jetzt in friedlicher Absicht

Maruân gab Marvão seinen Namen, baute die Festung aus und durfte schließlich mit dem Plazet des Emirs ein vom spanischen Mérida im Osten bis in die portugiesische Sierra reichendes islamisches Gebiet regieren. Die Religion und die Besitzverhältnisse wechselten im Zuge der Reconquista. Im zwölften Jahrhundert verleibte der erste König Afonso Henriques auch den Felssporn Marvão der neugegründeten portugiesischen Monarchie ein. Und wenn es die Spanier auch gelegentlich bestreiten, hat Portugal doch guten Grund, sich als ältester Nationalstaat Europas in bis dato festen Grenzen zu rühmen.

„De Espanha nem boms ventos nem boms casamentos“ (Aus Spanien kommen weder gute Winde noch gute Hochzeiten), war die lange Zeit sprichwörtliche portugiesische Erfahrung mit den Nachbarn. Mitunter kam auch als Speerspitze der Herzog von Alba im Auftrag seines Königs vorbei. Philipp II. machte sich mit seiner Hilfe Portugal für ein paar Jahrzehnte untertan. Marvão war davor und danach aber vor allem ein hervorragender Ausguck mit dem kanonenbewehrten Auftrag, sich die Kastilier vom Leibe zu halten.

In diesem Sommer kommen auch sie nun aber aus der kargen Estremadura – Ibn Maruân hat auch Badajoz gegründet – in friedlicher Absicht zu Christoph Poppens Festival. Er hat Marvão bis auf weiteres auf die kulturelle Landkarte Portugals und Europas gesetzt.

(Leo Wieland, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Donnerstag 30. Juli 2015)