Kölner Kammerorchester

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Datum: 02.11.2016

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Zügige Abwicklung im Stehen

Francesco Tristano spielt in der Kölner Philharmonie Klavierkonzerte von Bach

Schon bevor der erste Ton erklang, war klar, dass die Zuhörer in der Kölner Philharmonie Ungewöhnliches erwartete: Der Flügel stand auf einem Podest, der Klavierhocker fehlte. Der Pianist würde seinen Part - das Solo dreier Bach'scher Klavierkonzerte (BWV 1058, 1055 und 1052) - also stehend spielen. Leicht extravagant war dann auch der Auftritt von Francesco Tristano in der Reihe "Das Meisterwerk": Der für seinen Klassik/Techno-Spagat bekannte Künstler erschien auf der Bühne in schwarzer Existenzialistenkluft mit lang herabhängendem Schal, in den Bewegungen guruhaft verlangsamt, die Hände im Gebetsgestus aneinandergelegt.

Ein bisschen neben der Spur das alles - wogegen freilich gar nichts zu sagen ist, denn im Konzert zählt einzig das künstlerische Ergebnis. Das ließ dann allerdings ebenfalls etliche Wünsche offen: Zweifellos ist Tristano ein Mann flüssig-geschmeidigen Spiels und eines kultivierten Anschlags, aber allzu viel kam davon im großen Rund nicht an. Es mochte auch an der fehlenden Bodenhaftung des Flügels und der Entfernung des Deckels liegen - jedenfalls wirkte der Klang eigentümlich substanzarm, ja schattenhaft körperlos. Die Dynamik hielt sich in einem mezzopiano-mezzoforte-Bereich (Hauptsache mezzo), und bei raschen Tempi entstand der Eindruck einer nicht sonderlich inspirierten Abwicklung. Tristanos aufmunternd-gymnastisches Knie-Federn vermochte daran nichts zu ändern.

Der Gestus des Beiläufigen schädigte zumal Sätze wie das herrliche Larghetto aus BWV 1055, ursprünglich für die Oboe geschrieben: Kam von der beseelten Kantabilität dieses Satzes irgendetwas herüber? Problematisch ging es auch in Tristanos improvisierten Kadenzen zu, die ob ihrer diffus-zerfahrenen Harmonik und Klanglichkeit nicht nur stilfremd waren, sondern auch die Auseinandersetzung mit der Werksubstanz vermissen ließen. Die Zugaben-Improvisation aus repetitivem Minimalismus zeigte dann noch einmal nachdrücklich, dass Tristanos Herz tatsächlich für diese Kunstrichtung schlägt.

Dank des zurückhaltenden Solistenspiels konnte der Zuhörer sehr schön Bachs wundervolle, hier vom Kölner Kammerorchester vorzüglich exekutierte Streicherstimmen verfolgen. Die Formation steuerte weiterhin zwei Purcell-Werke bei (eine Suite aus "Dido und Aeneas" und eine Chaconne), die den Briten wieder einmal als herausragenden Komponisten erwiesen. Hier präsentiert sich ein archaischer, wilder Barock, dessen expressive Kraft immer noch gerne unterschätzt wird.

(Markus Schwering, Kölner Stadt-Anzeiger, 31. Oktober 2016)